"Ich
erinnere mich, dass unsere Nachbarschaft wie eine grosse Familie war.
Die Leute zogen immer noch Gemüse in den Feldern neben dem Haus
und wuschen sie im Fluss. Jungen jagten Schmetterlinge und Libellen
und ihre Mütter schwatzten in den öffentlichen Baderäumen,
während die Väter sich in der Bar an der Ecke ein paar genehmigten."
Takeshi schaffte es ins College (Meiji Universität), aber zum Entsetzen
seiner Mutter, wurde er nach drei Jahren (1967) rausgeschmissen.
"Mein
Traum war es, für Honda zu arbeiten. Aber in den späten 60ern
gab es eine große Studentenbewegung, die von Frankreich rüberschwappte,
und Leute, die Philosophie oder Marx und Lenin studierten, hatten einen
höheren Status. Ich glaubte, dass ich, wenn ich so wäre wie
sie, mehr Mädchen kennenlernen könnte, also schwänzte
ich das College, wurde rausgeschmissen und suchte mir einen Job."
Er begann seine Karriere nach dem abgebrochenen Studium (und etlichen
Gelegenheitsjobs als Reinigungskraft und Kellner in Cafés) im Showbiz
als Standup-Comedian auf der Bühne eines obskuren Strip-Lokals in
Asakusa. Im Jahr darauf rief er mit Kiyoshi Kaneko das alternative Komikerduo
"The Two Beats" ins Leben - daher sein Künstlername "Beat
Takeshi", den er noch heute für alle Auftritte vor der
Kamera verwendet. Das Auftreten von Komikerduos (jap. "manzai"),
die sich laufend gegenseitig ins Wort fallen, hat in Japan eine lange
Tradition und wird u.a. in seinem Film "Kids Return" kurz aufgegriffen.
"The Two Beats" avancierten wegen ihrer rasanten und respektlosen
Auftritte insbesondere bei Studenten und anderen aufgeschlossenen jungen
Leuten in Japan zum Top-Act der späten 70er Jahre. 1974 sah ein TV-Produzent
das Duo und zwei Jahre später erhielten die beiden Preise für
ihre Show auf NHK, Japans größtem TV-Netzwerk.
"In
Japan gibt es den Fernsehsender NHK, der so ist wie BBC, nur sehr viel
konservativer. Als ich ein aufstrebender Comedy-Star war, trat ich in
einer Live-Sendung auf und der Regisseur sagte ausdrücklich, dass
ich nicht das und das sagen dürfte, denn wenn ich das täte,
dann würde das mein letzter Auftritt gewesen sein. Natürlich
konnte ich nicht widerstehen. Ich sagte 12 mal nacheinander ´Scheisse´.
Ich sagte, ´Ich sah etwas auf der Strasse, dass wie Scheisse aussah.
Also ging ich hin und hob es auf und roch daran, und es roch wie Scheisse.
Ich befühlte es und es fühlte sich an wie Scheisse und das
mochte ich. Und es schmeckte wie Scheisse, weshalb ich es wieder weg
legte. Ein Glück bin ich nicht reingetreten!´ Das war mein
coolster Moment, weil es ein unglaubliches Risiko war. Sie hätten
mich feuern können, taten es aber nicht. Der Regisseur wurde gefeuert
und der Produzent wurde zu einer anderen Sendung versetzt, weit weg
aus Tokio."
Als das erfolgreiche Duo dann Anfang der 80er auseinanderbrach, hatte
sich Kitano längst als hyperaktives Multitalent entpuppt, das in
jedem Medium zu Hause ist. Gleich ob als Talkmaster im Radio, Darsteller
in Fernsehspielen (seit 1975) oder Verfasser von humoristischen Kurzgeschichten.
Damals begann sein Siegeszug durch die Studios, Redaktionen und Verlage.
Seine Filmkarriere (siehe hierzu auch IMDB)
begann 1983 als Darsteller in japanischen Produktionen. Mit Nagisa Oshimas
Kriegsdrama aus einem Gefangenenlager "Furyo
- Merry Christmas, Mr. Lawrence" tauchte der Name Beat Takeshi
dann erstmals auch in westlichen Breitengraden auf. Neben David Bowie
und Ryuichi Sakamoto verkörperte er den "typischen" japanischen
Soldaten Sgt. Hara - autoritätsgläubig, brutal und, nach reichlichem
Alkoholkonsum, sentimental. Bereits diese frühe Rolle macht die erstaunliche
Diskrepanz zwischen Kino- und TV-Image deutlich: Der Spaßmacher
auf dem Bildschirm und der Antiheld auf der Leinwand (insbesondere in
seinen eigenen Filmen) scheinen wie ungleiche Brüder.
Sein Regiedebüt gab Takeshi Kitano 1989 mit "Violent
Cop", in dem er ursprünglich nur die Titelrolle hatte spielen
sollen. Es folgten "Boiling Point"
(1990) sowie "Sonatine" (1993), und
die Yakuza-Trilogie, welche von emsigen Festivalbesuchern zwischen Cannes
und Vancouver rasch zum Kult erklärt wurde, war komplett.
Wie omnipräsent der hochverehrte und geliebte Beat Takeshi insbesondere
auf dem Bildschirm ist, wurde der Nation erst wirklich bewußt, als
er im August 1994 einen schweren Mopedunfall hatte. In der Nacht des 2.
August 1994 stieg Kitano völlig betrunken auf sein Moped und schnallte
seinen Helm nicht richtig fest. Er schlief während der Fahrt ein
und hatte einen schweren Unfall. Auf wundersame Weise überlebte er,
allerdings verbrachte er 4 Wochen auf der Intensivstation des Tokyo
Medical College Hospital, wo seine diversen Schädelfrakturen
und sein gebrochener Kiefer behandelt wurden.
Das halbe Fernsehprogramm war plötzlich Makulatur, denn schließlich
war er Woche für Woche in neun verschiedenen Sendungen von der Quiz-Show
bis zum Fußballmagazin aufgetreten (siehe hierzu auch: Takeshi Kitano on TV). Danach brachte es der rastlose
Entertainer "nur" noch auf sieben TV-Termine pro Woche. Er wurde
am 27. September wieder entlassen. Kitano muss seitdem mit einer irreparablen
Nervenschädigung in seiner rechten Gesichtshälfte leben. Nach
dem Unfall gab Kitano das Trinken und Golfspielen auf, um mehr Zeit für
die Malerei, das Lesen und das Studium der Wissenschaften und der Musik
zu haben.
"Leute,
die mir nahe stehen, sagen, dass man nach einem solchen traumatischen
Erlebnis ein besseres Leben führen kann. Ich glaube nicht, dass
das so ist. Es war nur ein Unfall. Ich hasse den Gedanken, dass ich,
nur weil ich überlebt habe, dies und das jetzt tun sollte - das
akzeptiere ich nicht. Zeit ist etwas sehr Wertvolles für mich.
Um mehr Zeit zu haben, mußte ich einen Gang zurückschalten.
Golfspielen nimmt einen ganzen Tag in Anspruch ... um zu lesen, zu studieren,
Keyboard und Gitarre zu spielen, um all die Dinge zu machen, die ich
machen wollte, musste ich das Trinken und Golfspielen aufgeben. Ich
tat es nicht, weil es schlecht für meine Gesundheit oder so war.
Direkt nach dem Unfall, schon im Krankenhaus, trank ich wahrscheinlich
doppelt so viel wie sonst. Ich wollte zeigen, dass Takeshi noch seinen
Schwung hatte. Sechs Monate später merkte ich, wieviel Zeit das
in Anspruch nahm. Es ist also schwer für mich, zu sagen, dass es
der Unfall war, der alles geändert hat. Ich bin wie ein Schwamm,
der so viel Information und Erfahrung in sich aufsaugt, wie er bekommen
kann. Wenn ich das wieder ausquetsche, in Form eines Films oder was
auch immer, kommt manchmal Scheisse dabei raus, aber das ist meine normale
Arbeitsweise um überhaupt so viel Arbeiten zu können."
Für andere Regisseure spielte er in jüngerer Vergangenheit
etwa den mächtigen Yakuza Takohashi in der Verfilmung der leider
nicht besonders gut verfilmten Cyberpunk-Kurzgeschichte von William Gibson
"Vernetzt
- Johnny Mnemonic" (1995) mit Keanu Reeves oder den einäugigen,
schwulen Killer in der Gangsterballade "Gonin"
von Takashi Ishii. Er war auch der Hauptdarsteller in der Verfilmung seines
Romans "Many
Happy Returns" (1993), einer Satire auf die religlösen Kulte
Japans, inszeniert von seinem früheren Assistenten Toshiniro Tenma.
Einer der letzten schauspielerischen Einsätze von Kitano war die
Rolle des Klassenlehrers in dem kompromißlosen und aufrüttelnden
Film "Battle
Royale" (2000) von Kinji Fukasaku.
Weil sich westliche Verleiher mit japanischen Produktionen im allgemeinen
und mit Kitanos ebenso kompromißlos persönlichen wie blutigen
Gangsterfilmen im besonderen nicht eben leicht tun, blieb er bisher ein
Geheimtip. Immerhin: In Großbritannien gehören seine drei ersten
Filme zu den meistverkauften fremdsprachigen Videotiteln aller Zeiten.
Sein sechstes Werk, "Kids Return",
lief 1996 u.a. im Rahmenprogramm von Cannes. Der Goldene Löwe von
Venedig 1997 für "Hana-Bi" markierte
den ersten vorläufigen Höhepunkt seiner internationalen Karriere.
Der Silberne Löwe von Venedig 2003 für "Zatoichi"
(Special Directors Award) war die nächste herausragende Auszeichnung,
die Kitanos Filmwerk zuteil wurde.
Heute gilt Takeshi Kitano allgemein als Japans führende Medienpersönlichkeit.
Er ist Regisseur, Schauspieler, TV-Entertainer, Filmautor und Romancier.
Er gilt in Japan als bedeutendster Regisseur nach Akira Kurosawa und Seijun
Suzuki.
Der prestigereiche "International Film Guide" für das
Jahr 2000 führt Kitano als einen der fünf besten Regisseure
des Jahres.
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Kitanos Einsatz langer, statischer Einstellungen mit geringer ´schauspielerischer
Aktivität´ lässt eine gelassene Ruhe entstehen, die in
vielen seiner Werke zu bemerken ist. Gewalt explodiert aus der Stille
heraus und wird von einer ruhigen Kamera mit wenigen Schnitten eingefangen.
"Für
mich ist ein Film grundsätzlich still. Ich mag Filme ohne Dialoge
oder Musik. Das Publikum sollte alles was es braucht nur aus den Bildern
ziehen können. Nichts sollte durch Dialoge zusätzlich erklärt
werden müssen. Natürlich versuche ich, in die Charaktere hineinzuschlüpfen,
über die ich schreibe. Und ich weiß, was ihr Gesichtsausdruck
und ihr Verhalten ausdrücken sollte. Ob ich in dem Film selbst
auftauche ist nicht meine erste Überlegung. Wenn eine Rolle für
mich da ist, nehme ich sie, denn als Schauspieler weiß ich, was
ich als Regisseur will. Aber wenn die Story keine Rolle für mich
hat - wie z.B. bei ´Kids Return´ - dann stehe ich hinter
der Kamera. Alles läßt sich darauf runterbrechen, dass ich
versuche, die Vorstellungskraft des Publikums zu stimulieren. Ich habe
sehr hohe Erwartungen an mein Publikum."
"Wenn
ich meinen Stil definieren müsste, würde ich sagen, dass ich
dem Zuschauer soviel Freiraum wie möglich lasse. Ich erwarte viel
vom Publikum und versuche, einen richtigen Dialog mit ihm herzustellen.
Deswegen benutze ich so viele Ellipsen und deswegen lasse ich so viele
Dinge offen. Das rührt auch von meiner Arbeitsmethode her. Meistens
fange ich ohne ein fertiges Drehbuch an, oft nur mit einer einfachen
Idee als Ausgangsbasis. Kurosawa und andere große Regisseure haben
Storyboards benutzt, und da ich selber zeichne, habe ich versucht, es
ihnen nachzumachen. Doch sehr schnell habe ich erkannt, dass das gar
nicht klappt. Man kann nicht so filmen, wie man gezeichnet hat: die
Bedingungen sind nicht die gleichen, die Drehorte passen nicht und es
ist unvereinbar mit unserem Arbeitsstil, der der Improvisation viel
Raum lässt. Deshalb bezeichne ich mich ja auch gerne als unfreiwilligen
Regisseur. Ich habe oft das Gefühl, dass es der Film ist, der mich
in meiner Regie und in meinen Entscheidungen leitet, und nicht umgekehrt."
Takeshi Kitano sagt selbst, dass sein Ansatz für die Darstellung
filmischer Gewalt von den berühmten Dokumentaraufnahmen über
einen Vietkong Guerilla, die von einem amerikanischen Soldaten während
der blutigen Tet-Offensive 1968 aufgenommen worden sind, inspiriert wurde.
"Es
gibt keine Bewegung der Kamera. Kein hoch oder runter - genauso, wie
damals, als ich einen Mann gesehen habe, der in meiner Nachbarschaft
erstochen wurde - was das Schockierendste war, was ich jemals gesehen
habe. Gewalt ist wie Comedy; sie packt uns ganz plötzlich, ohne
Warnung. Beim Boxen ist es, glaube ich, unheimlicher, jemanden zuschlagen
zu sehen, als jemanden, der geschlagen wird."
Die Gewalttaten illustrieren keine Action, sondern reflektieren eher
eine soziale Desillusion, zumal sie sich oft nur in Kitanos unbewegtem
Gesicht zeigen:
"Der
Japaner von heute ist stumpf und geistlos."
Kitano zur Stellung des japanischen Films in Japan:
"In
Japan, wird der Regisseur am meisten respektiert, der mit seinen Filmen
den größten kommerziellen Erfolg hat. Das Publikum kümmert
sich nicht mehr darum, ob der Film künstlerisch anspruchsvoll ist
oder nicht. Nur das Einspielergebnis zählt. Früher wurden
Regisseure wie Akira Kurosawa oder Ozu respektiert, aber es ist möglich,
dass die japanische Öffentlichkeit nicht mehr realisierte, wie
groß die beiden waren, bis ihre Qualitäten im Westen wahrgenommen
wurden. Heute kommen fast alle kommerziell erfolgreichen Filme aus dem
Westen. Es muß aufwendige Computereffekte oder sowas geben, ansonsten
wird der Film nicht als unterhaltend angesehen. Es ist das Gift, dass
nach dem Zweiten Weltkrieg mit den amerikanischen Filmen kam. Es ist
ein Krebsgeschwür, dass wir heilen müssen, ansonsten wird
der japanische Film und die Kultur nicht überleben."
Kitano zu seiner Position unter den japanischen Filmemachern:
"Man
bezeichnet mich oft als die Eiterbeule oder das Krebsgeschwür der
japanischen Kinoindustrie. Ich bin da bescheidener und betrachte mich
eher als einen kleinen Fieberpickel. Dass ich auf Festivals vertreten
bin, hat eine seltsame Situation geschaffen, und nach und nach haben
sich die Japaner durch die Aufmerksamkeit, die die internationale Presse
meinem Werk widmet, anregen lassen, es ebenfalls zu beachten. Einige
junge Regisseure behaupten sogar, von mir beeinflusst zu sein. Leider
kopieren sie mich wie sie Tarantino oder andere modische Regisseure
kopieren würden. Es fehlt ihnen das Feeling. Ich glaube, dass man
da sehr aufpassen muss. Ein Einfluss ist gut, doch muss man sich seine
eigene Welt schaffen. Für die Leute meiner Generation gab es die
großen Meister Kurosawa und Ozu und dann kam lange nichts. Wir
waren nicht wirklich Einflüssen ausgesetzt. Die jungen Leute haben
unrecht, wenn sie mich kopieren wollen: ich habe mein Register gefunden,
sie müssen das ihre finden. Das einzige, was ich für diejenigen,
die nach mir kommen, geschafft habe, ist der Beweis, dass es möglich
ist, in Japan einen Independent Film ohne die Hilfe der großen
Studios zu produzieren."
Kitano auf die Frage, was er vorzieht (Schauspielen, Schreiben oder Regie):
"Das
kann ich nicht sagen. Alle drei Dinge gehören zusammen. Eines davon
vor den anderen zu wählen, wäre wie ein Teil eines Autos auszuwählen:
das Lenkrad oder den Motor."
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