Takeshi Kitanos Filme
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BIOGRAPHIE

Hier in Deutschland wurde Takeshi Kitano im Grunde zuerst durch den Erfolg mit "Hana-Bi" bei den Filmfestspielen von Venedig einem größeren Kreis bekannt. Seinen größten Bekanntheitsgrad hat er seit 1998 durch die Ausstrahlung seiner chaotischen Gameshow "Takeshi´s Castle" im DSF erreicht. Diese Gameshow lief sehr erfolgreich im japanischen Fernsehen von 1986 bis 1991 (mit 121 Folgen). Als Regisseur von anspruchsvollen Filmen ist er weiterhin in Deutschland nur einer Minderheit bekannt.

Takeshi Kitano wurde am 18. Januar 1948 als letztes von vier Kindern einer Arbeiter-Familie in Tokio geboren. Sein Vater, Kikujiro, war ein liebenswerter (aber durstiger) Mann, der als Lackierer und Maler arbeitete.

"Ich sprach fast nie mit meinem Vater. Wenn wir Brüder seine Schritte hörten, rannten wir weg und versteckten uns. Ich habe den Verdacht, dass er der Yakuza angehörte. Aber um seine Familie ernähren zu können, war er gezwungen als Anstreicher zu arbeiten."

Seine Mutter, Saki, war eine Frau mit einem starken Antrieb, die Familie zusammen und die Kinder in der Schule zu halten, auch wenn das bedeutete, Tag und Nacht den Familienfrieden wieder einrenken zu müssen. Während Takeshis Jugend hatte der Kitano-Haushalt einige schwere Zeiten durchzumachen, aber war niemals in Gefahr auseinander zu brechen.

"Meine Familie erlaubte mir oder meinen Brüdern nicht, Filme anzusehen oder Comics und Romane zu lesen. In der Nachkriegszeit lag die ganze Betonung auf wirtschaftlichem Wachstum. Filme waren ´out´. Deshalb begann ich Ingenieurwissenschaften zu studieren! Ich hatte nie von der Welt der Filme und Mangas gehört, bis ich ins College kam."

  Takeshis Familie war die erste in ihrer Strasse, die 1956 einen Fernseher hatte. So wurde ihr Haus zu einer Art Nachbarschaftszentrum.
   


"Ich erinnere mich, dass unsere Nachbarschaft wie eine grosse Familie war. Die Leute zogen immer noch Gemüse in den Feldern neben dem Haus und wuschen sie im Fluss. Jungen jagten Schmetterlinge und Libellen und ihre Mütter schwatzten in den öffentlichen Baderäumen, während die Väter sich in der Bar an der Ecke ein paar genehmigten."

Takeshi schaffte es ins College (Meiji Universität), aber zum Entsetzen seiner Mutter, wurde er nach drei Jahren (1967) rausgeschmissen.

"Mein Traum war es, für Honda zu arbeiten. Aber in den späten 60ern gab es eine große Studentenbewegung, die von Frankreich rüberschwappte, und Leute, die Philosophie oder Marx und Lenin studierten, hatten einen höheren Status. Ich glaubte, dass ich, wenn ich so wäre wie sie, mehr Mädchen kennenlernen könnte, also schwänzte ich das College, wurde rausgeschmissen und suchte mir einen Job."

Er begann seine Karriere nach dem abgebrochenen Studium (und etlichen Gelegenheitsjobs als Reinigungskraft und Kellner in Cafés) im Showbiz als Standup-Comedian auf der Bühne eines obskuren Strip-Lokals in Asakusa. Im Jahr darauf rief er mit Kiyoshi Kaneko das alternative Komikerduo "The Two Beats" ins Leben - daher sein Künstlername "Beat Takeshi", den er noch heute für alle Auftritte vor der Kamera verwendet. Das Auftreten von Komikerduos (jap. "manzai"), die sich laufend gegenseitig ins Wort fallen, hat in Japan eine lange Tradition und wird u.a. in seinem Film "Kids Return" kurz aufgegriffen. "The Two Beats" avancierten wegen ihrer rasanten und respektlosen Auftritte insbesondere bei Studenten und anderen aufgeschlossenen jungen Leuten in Japan zum Top-Act der späten 70er Jahre. 1974 sah ein TV-Produzent das Duo und zwei Jahre später erhielten die beiden Preise für ihre Show auf NHK, Japans größtem TV-Netzwerk.

"In Japan gibt es den Fernsehsender NHK, der so ist wie BBC, nur sehr viel konservativer. Als ich ein aufstrebender Comedy-Star war, trat ich in einer Live-Sendung auf und der Regisseur sagte ausdrücklich, dass ich nicht das und das sagen dürfte, denn wenn ich das täte, dann würde das mein letzter Auftritt gewesen sein. Natürlich konnte ich nicht widerstehen. Ich sagte 12 mal nacheinander ´Scheisse´. Ich sagte, ´Ich sah etwas auf der Strasse, dass wie Scheisse aussah. Also ging ich hin und hob es auf und roch daran, und es roch wie Scheisse. Ich befühlte es und es fühlte sich an wie Scheisse und das mochte ich. Und es schmeckte wie Scheisse, weshalb ich es wieder weg legte. Ein Glück bin ich nicht reingetreten!´ Das war mein coolster Moment, weil es ein unglaubliches Risiko war. Sie hätten mich feuern können, taten es aber nicht. Der Regisseur wurde gefeuert und der Produzent wurde zu einer anderen Sendung versetzt, weit weg aus Tokio."

Als das erfolgreiche Duo dann Anfang der 80er auseinanderbrach, hatte sich Kitano längst als hyperaktives Multitalent entpuppt, das in jedem Medium zu Hause ist. Gleich ob als Talkmaster im Radio, Darsteller in Fernsehspielen (seit 1975) oder Verfasser von humoristischen Kurzgeschichten. Damals begann sein Siegeszug durch die Studios, Redaktionen und Verlage.

Seine Filmkarriere (siehe hierzu auch IMDB) begann 1983 als Darsteller in japanischen Produktionen. Mit Nagisa Oshimas Kriegsdrama aus einem Gefangenenlager "Furyo - Merry Christmas, Mr. Lawrence" tauchte der Name Beat Takeshi dann erstmals auch in westlichen Breitengraden auf. Neben David Bowie und Ryuichi Sakamoto verkörperte er den "typischen" japanischen Soldaten Sgt. Hara - autoritätsgläubig, brutal und, nach reichlichem Alkoholkonsum, sentimental. Bereits diese frühe Rolle macht die erstaunliche Diskrepanz zwischen Kino- und TV-Image deutlich: Der Spaßmacher auf dem Bildschirm und der Antiheld auf der Leinwand (insbesondere in seinen eigenen Filmen) scheinen wie ungleiche Brüder.

Sein Regiedebüt gab Takeshi Kitano 1989 mit "Violent Cop", in dem er ursprünglich nur die Titelrolle hatte spielen sollen. Es folgten "Boiling Point" (1990) sowie "Sonatine" (1993), und die Yakuza-Trilogie, welche von emsigen Festivalbesuchern zwischen Cannes und Vancouver rasch zum Kult erklärt wurde, war komplett.

Wie omnipräsent der hochverehrte und geliebte Beat Takeshi insbesondere auf dem Bildschirm ist, wurde der Nation erst wirklich bewußt, als er im August 1994 einen schweren Mopedunfall hatte. In der Nacht des 2. August 1994 stieg Kitano völlig betrunken auf sein Moped und schnallte seinen Helm nicht richtig fest. Er schlief während der Fahrt ein und hatte einen schweren Unfall. Auf wundersame Weise überlebte er, allerdings verbrachte er 4 Wochen auf der Intensivstation des Tokyo Medical College Hospital, wo seine diversen Schädelfrakturen und sein gebrochener Kiefer behandelt wurden.

Das halbe Fernsehprogramm war plötzlich Makulatur, denn schließlich war er Woche für Woche in neun verschiedenen Sendungen von der Quiz-Show bis zum Fußballmagazin aufgetreten (siehe hierzu auch: Takeshi Kitano on TV). Danach brachte es der rastlose Entertainer "nur" noch auf sieben TV-Termine pro Woche. Er wurde am 27. September wieder entlassen. Kitano muss seitdem mit einer irreparablen Nervenschädigung in seiner rechten Gesichtshälfte leben. Nach dem Unfall gab Kitano das Trinken und Golfspielen auf, um mehr Zeit für die Malerei, das Lesen und das Studium der Wissenschaften und der Musik zu haben.

"Leute, die mir nahe stehen, sagen, dass man nach einem solchen traumatischen Erlebnis ein besseres Leben führen kann. Ich glaube nicht, dass das so ist. Es war nur ein Unfall. Ich hasse den Gedanken, dass ich, nur weil ich überlebt habe, dies und das jetzt tun sollte - das akzeptiere ich nicht. Zeit ist etwas sehr Wertvolles für mich. Um mehr Zeit zu haben, mußte ich einen Gang zurückschalten. Golfspielen nimmt einen ganzen Tag in Anspruch ... um zu lesen, zu studieren, Keyboard und Gitarre zu spielen, um all die Dinge zu machen, die ich machen wollte, musste ich das Trinken und Golfspielen aufgeben. Ich tat es nicht, weil es schlecht für meine Gesundheit oder so war. Direkt nach dem Unfall, schon im Krankenhaus, trank ich wahrscheinlich doppelt so viel wie sonst. Ich wollte zeigen, dass Takeshi noch seinen Schwung hatte. Sechs Monate später merkte ich, wieviel Zeit das in Anspruch nahm. Es ist also schwer für mich, zu sagen, dass es der Unfall war, der alles geändert hat. Ich bin wie ein Schwamm, der so viel Information und Erfahrung in sich aufsaugt, wie er bekommen kann. Wenn ich das wieder ausquetsche, in Form eines Films oder was auch immer, kommt manchmal Scheisse dabei raus, aber das ist meine normale Arbeitsweise um überhaupt so viel Arbeiten zu können."

Für andere Regisseure spielte er in jüngerer Vergangenheit etwa den mächtigen Yakuza Takohashi in der Verfilmung der leider nicht besonders gut verfilmten Cyberpunk-Kurzgeschichte von William Gibson "Vernetzt - Johnny Mnemonic" (1995) mit Keanu Reeves oder den einäugigen, schwulen Killer in der Gangsterballade "Gonin" von Takashi Ishii. Er war auch der Hauptdarsteller in der Verfilmung seines Romans "Many Happy Returns" (1993), einer Satire auf die religlösen Kulte Japans, inszeniert von seinem früheren Assistenten Toshiniro Tenma. Einer der letzten schauspielerischen Einsätze von Kitano war die Rolle des Klassenlehrers in dem kompromißlosen und aufrüttelnden Film "Battle Royale" (2000) von Kinji Fukasaku.

Weil sich westliche Verleiher mit japanischen Produktionen im allgemeinen und mit Kitanos ebenso kompromißlos persönlichen wie blutigen Gangsterfilmen im besonderen nicht eben leicht tun, blieb er bisher ein Geheimtip. Immerhin: In Großbritannien gehören seine drei ersten Filme zu den meistverkauften fremdsprachigen Videotiteln aller Zeiten. Sein sechstes Werk, "Kids Return", lief 1996 u.a. im Rahmenprogramm von Cannes. Der Goldene Löwe von Venedig 1997 für "Hana-Bi" markierte den ersten vorläufigen Höhepunkt seiner internationalen Karriere. Der Silberne Löwe von Venedig 2003 für "Zatoichi" (Special Directors Award) war die nächste herausragende Auszeichnung, die Kitanos Filmwerk zuteil wurde.

Heute gilt Takeshi Kitano allgemein als Japans führende Medienpersönlichkeit. Er ist Regisseur, Schauspieler, TV-Entertainer, Filmautor und Romancier. Er gilt in Japan als bedeutendster Regisseur nach Akira Kurosawa und Seijun Suzuki.

Der prestigereiche "International Film Guide" für das Jahr 2000 führt Kitano als einen der fünf besten Regisseure des Jahres.

 

 
Takeshi Kitanos Filmstil

Kitanos Einsatz langer, statischer Einstellungen mit geringer ´schauspielerischer Aktivität´ lässt eine gelassene Ruhe entstehen, die in vielen seiner Werke zu bemerken ist. Gewalt explodiert aus der Stille heraus und wird von einer ruhigen Kamera mit wenigen Schnitten eingefangen.

"Für mich ist ein Film grundsätzlich still. Ich mag Filme ohne Dialoge oder Musik. Das Publikum sollte alles was es braucht nur aus den Bildern ziehen können. Nichts sollte durch Dialoge zusätzlich erklärt werden müssen. Natürlich versuche ich, in die Charaktere hineinzuschlüpfen, über die ich schreibe. Und ich weiß, was ihr Gesichtsausdruck und ihr Verhalten ausdrücken sollte. Ob ich in dem Film selbst auftauche ist nicht meine erste Überlegung. Wenn eine Rolle für mich da ist, nehme ich sie, denn als Schauspieler weiß ich, was ich als Regisseur will. Aber wenn die Story keine Rolle für mich hat - wie z.B. bei ´Kids Return´ - dann stehe ich hinter der Kamera. Alles läßt sich darauf runterbrechen, dass ich versuche, die Vorstellungskraft des Publikums zu stimulieren. Ich habe sehr hohe Erwartungen an mein Publikum."

"Wenn ich meinen Stil definieren müsste, würde ich sagen, dass ich dem Zuschauer soviel Freiraum wie möglich lasse. Ich erwarte viel vom Publikum und versuche, einen richtigen Dialog mit ihm herzustellen. Deswegen benutze ich so viele Ellipsen und deswegen lasse ich so viele Dinge offen. Das rührt auch von meiner Arbeitsmethode her. Meistens fange ich ohne ein fertiges Drehbuch an, oft nur mit einer einfachen Idee als Ausgangsbasis. Kurosawa und andere große Regisseure haben Storyboards benutzt, und da ich selber zeichne, habe ich versucht, es ihnen nachzumachen. Doch sehr schnell habe ich erkannt, dass das gar nicht klappt. Man kann nicht so filmen, wie man gezeichnet hat: die Bedingungen sind nicht die gleichen, die Drehorte passen nicht und es ist unvereinbar mit unserem Arbeitsstil, der der Improvisation viel Raum lässt. Deshalb bezeichne ich mich ja auch gerne als unfreiwilligen Regisseur. Ich habe oft das Gefühl, dass es der Film ist, der mich in meiner Regie und in meinen Entscheidungen leitet, und nicht umgekehrt."

Takeshi Kitano sagt selbst, dass sein Ansatz für die Darstellung filmischer Gewalt von den berühmten Dokumentaraufnahmen über einen Vietkong Guerilla, die von einem amerikanischen Soldaten während der blutigen Tet-Offensive 1968 aufgenommen worden sind, inspiriert wurde.

"Es gibt keine Bewegung der Kamera. Kein hoch oder runter - genauso, wie damals, als ich einen Mann gesehen habe, der in meiner Nachbarschaft erstochen wurde - was das Schockierendste war, was ich jemals gesehen habe. Gewalt ist wie Comedy; sie packt uns ganz plötzlich, ohne Warnung. Beim Boxen ist es, glaube ich, unheimlicher, jemanden zuschlagen zu sehen, als jemanden, der geschlagen wird."

Die Gewalttaten illustrieren keine Action, sondern reflektieren eher eine soziale Desillusion, zumal sie sich oft nur in Kitanos unbewegtem Gesicht zeigen:

"Der Japaner von heute ist stumpf und geistlos."

Kitano zur Stellung des japanischen Films in Japan:

"In Japan, wird der Regisseur am meisten respektiert, der mit seinen Filmen den größten kommerziellen Erfolg hat. Das Publikum kümmert sich nicht mehr darum, ob der Film künstlerisch anspruchsvoll ist oder nicht. Nur das Einspielergebnis zählt. Früher wurden Regisseure wie Akira Kurosawa oder Ozu respektiert, aber es ist möglich, dass die japanische Öffentlichkeit nicht mehr realisierte, wie groß die beiden waren, bis ihre Qualitäten im Westen wahrgenommen wurden. Heute kommen fast alle kommerziell erfolgreichen Filme aus dem Westen. Es muß aufwendige Computereffekte oder sowas geben, ansonsten wird der Film nicht als unterhaltend angesehen. Es ist das Gift, dass nach dem Zweiten Weltkrieg mit den amerikanischen Filmen kam. Es ist ein Krebsgeschwür, dass wir heilen müssen, ansonsten wird der japanische Film und die Kultur nicht überleben."

Kitano zu seiner Position unter den japanischen Filmemachern:

"Man bezeichnet mich oft als die Eiterbeule oder das Krebsgeschwür der japanischen Kinoindustrie. Ich bin da bescheidener und betrachte mich eher als einen kleinen Fieberpickel. Dass ich auf Festivals vertreten bin, hat eine seltsame Situation geschaffen, und nach und nach haben sich die Japaner durch die Aufmerksamkeit, die die internationale Presse meinem Werk widmet, anregen lassen, es ebenfalls zu beachten. Einige junge Regisseure behaupten sogar, von mir beeinflusst zu sein. Leider kopieren sie mich wie sie Tarantino oder andere modische Regisseure kopieren würden. Es fehlt ihnen das Feeling. Ich glaube, dass man da sehr aufpassen muss. Ein Einfluss ist gut, doch muss man sich seine eigene Welt schaffen. Für die Leute meiner Generation gab es die großen Meister Kurosawa und Ozu und dann kam lange nichts. Wir waren nicht wirklich Einflüssen ausgesetzt. Die jungen Leute haben unrecht, wenn sie mich kopieren wollen: ich habe mein Register gefunden, sie müssen das ihre finden. Das einzige, was ich für diejenigen, die nach mir kommen, geschafft habe, ist der Beweis, dass es möglich ist, in Japan einen Independent Film ohne die Hilfe der großen Studios zu produzieren."

Kitano auf die Frage, was er vorzieht (Schauspielen, Schreiben oder Regie):

"Das kann ich nicht sagen. Alle drei Dinge gehören zusammen. Eines davon vor den anderen zu wählen, wäre wie ein Teil eines Autos auszuwählen: das Lenkrad oder den Motor."

 
 
   
Quellen: Christopher Cameron, Der Spiegel, Office Kitano
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zuletzt geändert:
17.02.2007